«DOK»: Hütet euch am Morgarten! – Kathrin Winzenried über Schweizer Geschichte und ihre Mythen

«DOK»: Hütet euch am Morgarten! – Kathrin Winzenried über Schweizer Geschichte und ihre Mythen

Die Vergangenheit hat die Schweiz eingeholt. Das öffentliche Interesse an der Geschichte des Landes ist gross, wie lange nicht mehr. 1315 Morgarten, 1515 Marignano, 1815 Wiener Kongress und das Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 - die Jahreszahlen sind omnipräsent. Historische Publikationen erreichen Rekordauflagen, lösen politische Diskussionen aus, die es bis auf die Titel von Boulevardmedien schaffen. Landauf, landab gedenken tausende Menschen Siegen und Niederlagen ihrer Vorfahren. Dabei geht es um existenzielle Fragen: «Woher kommen wir, wer sind wir und wohin gehen wir?» Solche Fragen sind im Wahljahr von ganz besonderer Bedeutung. Denn wer die Deutungshoheit über die Vergangenheit hat, bestimmt die Zukunft.

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Nationalkonservative verknüpfen ihre Politik im Wahljahr mit der Befreiung von fremden Mächten (Morgarten), dem Beginn der Neutralität (Marignano) und der nach ihrer Interpretation selbst erstrittenen Anerkennung derselben am Wiener Kongress. Die Rechte will im Sinne der geistigen Landesverteidigung am Sonderfall Schweiz festhalten. Die Linke auf der anderen Seite betont das Friedenswerk in Europa: die Neuordnung Europas am Wiener Kongress und die Friedensbemühungen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Europa einen und prägen.

 

Abschottung oder Öffnung

Mit seinem Buch «Schweizer Heldengeschichten - und was dahinter steckt» greift der Historiker Thomas Maissen herzhaft in die Debatte ein und macht der SVP die Deutungshoheit über die Schweizer Geschichte streitig. Der Forschungsstand hat sich zwar in den vergangenen Jahren nicht wesentlich verändert. Aber längst eingenommene und breit abgestützte Positionen der Geschichtswissenschaft ernten gerade im Wahljahr Hohn und Spott von der Rechten. Historiker gelten, wenn sie eine Politik der Öffnung der Schweiz in Richtung Europa befürworten, als Nestbeschmutzer - umso mehr wenn sie eine Politik der Öffnung der Schweiz in Richtung Europa befürworten. EU-Gegner und «Weltwoche»-Journalist Peter Keller räumt indes ein, er sei froh, dass das Volk und nicht er die letzte politische Verantwortung habe.

 

Mythos oder Wahrheit

Kathrin Winzenried begibt sich auf Spurensuche und trifft dabei Exponenten der politischen Pole an Gedenkanlässen; sie befragt Zeitzeugen, die sich noch lebhaft an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnern, oder stösst am Morgarten auf einen Ortsbürger, dessen Grossvater 1940 die Morgartenfeier zu neuem Leben erweckt und seither selber an fast fünfzig Feiern teilgenommen hat. Er sagt: «Ich fände es schade, wenn man nur sagen würde, man weiss nichts Genaues. Ich habe neulich einen Vortrag eines Historikers gehört. Er hat die Lücken der Forschung offengelegt. Aber das Gelände erzählt, wie es gewesen sein muss. Es erklärt alles! Der Historiker müsste sich das einmal anschauen kommen.» Ausserdem testet eine Schulklasse am Morgarten ein brandneues Lehrmittel und zeigt, welchen Sinn Mythen erfüllen und wie hartnäckig sie sich halten. Auf der Reise durch die Schweiz und deren Geschichte macht Kathrin Winzenried auch im Wallis halt, das - von den Franzosen befreit - erst 1815 zur Eidgenossenschaft gestossen ist.

 

Die Schweiz von gestern und heute

In Schulen und Museen, an Jubiläumsfeiern und Gedenkanlässen, von Politikern und Wissenschaftlern wird Schweizer Geschichte interpretiert, inszeniert und gefeiert. Der Film von Monica Suter will aus verschiedenen Perspektiven aufzeigen, wie und aus welchem Grund gestern und heute unterschiedliche Geschichtsbilder gepflegt werden und somit die Gelegenheit geben, die Identität des Landes zu überdenken.
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Ausstrahlung
Donnerstag, 17. September 2015, 20.05 Uhr, SRF 1

Publiziert am
Dienstag, 15. September 2015

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srf.ch/dok

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